20.05.07 Unfall und erste Versorgung
Ein Bekannter überredet mich zur Teilnahme an der 120km-Runde im Rahmen einer von unserer Lokalzeitung organisierten Radveranstaltung. Eigentlich meide ich solche Veranstaltungen wegen des bekanntermaßen erhöhten Unfallrisikos. Als Hobbytriathlet bin ich meist sowieso Einzelkämpfer, aber was solls, das Wetter ist optimal, die Sache gut organsiert und mal bisschen unter erhöhtem Adrenalin fahren macht auch Spaß. Bei Kilometer 64 gondeln wir am Ende des Hauptfeldes in Erwartung des Verpflegungspunktes und ich kram in meiner Trikottasche und plötzlich bremst alles und ich brems mit der linken Hand – Vorderradbremse!!!, weiß im Moment schon, dass es Scheisse ist, aber zu spät, der Lenker dreht und ich knalle bei Tempo 35 auf den Asphalt… ohne Helm wäre ich wahrscheinlich erstmal liegen geblieben, aber so rappel ich mich auf, linke Schulter schmerzt, Rad ist ok und ich denke, mal sehen, aber fahren geht und sichtbar ist nichts defekt außer übliche Schürfwunden. So fahre ich unter mäßigen Schmerzen zu Ende und rolle gleich ins Notfallzentrum Thonbergklinik in Leipzig, gleich zu Hause um die Ecke, bewährter Anlaufpunkt für solche Fälle, alle Ärzte dort haben chirurgische, orthopädische und sportmedizinische Fachausbildung. Beim Warten aufs Röntgen kommt dann der Schmerz und beim Ausziehen des Trikots ahn ich schon, dass es doch schlimmer sein könnte. Ergebnis: Schlüsselbeinbruch, lateral (außen knapp neben dem Gelenk, eigentlich das dicke Ende), die offenen Stellen am Rücken sehe ich auch erst jetzt. Die Ärzte beraten kurz und entscheiden sich gegen eine OP, der Bruch ist glatt, die Schulter leicht nach vorn verschoben, aber sie sind der Meinung, dass es sich wieder richten wird. Ich bekomme keinen Rucksackverband sondern eine Spezialbandage für Schulterverletzungen „Tricodur Gilchrist plus“ einer Hamburger Firma. Das Binden lässt sich nach einiger Übung selbstständig machen, so dass ich duschen kann und nachts mach ich ihn ab, da die Schulter durch die Schwerkraft in die richtige Position gezogen wird und ich den Arm mal lang machen kann. Außerdem kann ich so die Schürfstellen am Rücken und unter dem Verband einigermaßen versorgen.
1.-3. Woche
Die Prognose des Arztes war zunächst nur auf eine Woche ausgelegt und ich bildete mir ein, nach 2 Wochen hab ich alles überstanden, das war eine totale Fehleinschätzung. Folgende Erfahrungen denke ich sind weitervermittelbar:
Die Schmerzen nehmen bis zur endgültigen Abnahme der Bandage nicht ab, sondern teilweise bis zur Unerträglichkeit zu. Schmerzmittel (ibuhexal 600) sind absolut wirkungslos. Schmerzlinderung kann sich nur aktiv verschafft werden.
Sitzen ist absolut abträglich, besser leichtes rumlaufen und versuchen Brust raus und Schulterblätter zusammen, das entspannt.
Kühlen hilft nur am ersten Tag, später verstärkt es die Krampfhaltung der Muskultur. Wir hatten so ein Getreidekörnerkissen (ca. 2kg schwer) aus der Babyzeit der Kinder zu Hause, das hab ich mir im Liegen auf die Schulter gelegt, es war angenehm weil die Schulter mal nicht in Position gezogen sondern gedrückt wurde und es war auch immer gut temperiert.
Liegen ist das Beste, weil es gut entspannt, aber nur in der richtigen Position und der richtigen Unterlage, dass heißt, weiche Unterlage bauen aus Deckbett (Schulterblatt muss weich liegen) und Kopfkissen und zusätzlich ein stabiles Nackenkissen (ich konnte den Kopf nicht selbsttätig heben, nur mit Handunterstützung). Wie legt man sich hin? Nur unter wimmern und hyperventilieren, eine Korrektur der Liegeposition ist nicht mehr möglich. Ich habe mir aus zwei kurzen Kletterseilen eine Doppelschlaufe gebaut, eine zum Fußeinhängen die andere für die rechte Hand. Jegliche Drehung des Oberkörpers ist zu vermeiden – extremer Schmerz - und auch nicht möglich, das gilt natürlich auch für jegliche Aktivitäten des gesunden Armes. Gute Bauchmuskulatur ist von Vorteil, aber ohne Unterstützung des Fußes ist kein Aufstehen oder Hinlegen möglich, also Fuß unterm Bett verhaken oder Seilschlaufe. Geschlafen habe ich übrigens recht gut, gegen morgen tat dann der Rücken etwas weh, aber das war auszuhalten.
Anziehen ist spannend, wie zieht man Socken mit einer Hand an? Zum Glück war es die ganze Zeit über recht warmes Wetter, so dass ich nur ein weites Hemd zum Überwerfen brauchte, als Schuhe habe ich meine Laufschuhe benutzt, die haben einen 1-Hand-Zug zum zumachen und sicheres Gehen ist lebenswichtig, bloß nicht stolpern, Erschütterungen jeder Art, etwa auch beim Autofahren oder im Bus sind absolut zu vermeiden und führen zu unerträglichen Schmerzen.
Prima ist natürlich, wenn man ein Familie hat und jemand mundgerechtes Essen serviert.
Die meiste Zeit habe ich im Bett mit Radiohören verdämmert, Gott sei Dank gibt es noch Sender wie DLF oder DeutschlandradioKultur, die man auch über längere Zeit ertragen kann.
Nach zwei Wochen und Zwischenkontrolle beim Arzt gab’s Physiotherapie zur Schmerzlinderung, Fango und Massage im Schulter-Nackenbereich, das war kurzzeitig sehr wirkungsvoll. Die Schmerzen kommen ja weniger vom Bruch als vom sich ständig verkrampfenden und verkürzenden Umfeld im Schulter- und Nacken.
Wiederauferstehung
Freitag
Am Freitag der vierten Woche kommt der Verband ab, möglicherweise hätt es auch schon 2-3 Tage eher sein können, aber der Arzttermin lag nun mal so, ich hab mir die Bruchstelle nochmal ausführlich zeigen und erklären lassen, der Arzt ist jedenfalls zufrieden und macht mir Mut. Ich hab ein Rezept für Ultraschall und Ergo bekommen. Der erste Termin liegt aber erst am Dienstag der nächsten Woche, so lange will ich natürlich nicht warten.
Der Arm hängt bewegungsunfähig, offensichtlich hat mein Gehirn vergessen, das ich ein Schultergelenk habe, Hardware ohne Treiber. Ich hebe den linken Arm mit der rechten Hand an und lege ihn auf den Tisch, dann kann ich mit den Fingern irgendwas machen. Ellbogengelenk ist funktionsfähig. Beim Gehen kann ich den Arm nicht schwingen, wieder heftigster Schmerz, ich krabble mit den Fingern an der Hose hoch und steck die Hand in die Hosentasche. Mir ist unklar, wie ich jemals wieder Bewegung in das Schultergelenk bekommen soll. Positiv: die Schmerzen lassen nach, ich strecke die Schultern so oft wie möglich nach hinten.
Sonnabend
Ich gehe ins Freizeitbad und setz mich in den warmen Sprudeltopf. Vorsichtig lass ich den Arm treiben, nach 5 min schwimmt der Arm auf dem Wasser, nach 10 min bin ich in Lage eine langsame Schwimmbewegung der Arme zu koordinieren und das ohne Schmerzen!!!. Ich bewege die Arme 30 min langsam aber kontinuierlich.
Am Nachmittag mach ich eine Stunde Spaziergang auf Asphalt, nach wie vor ist jede Erschütterung zu vermeiden, ich zwinge mich aller 100 m zum Armpendeln. Am Abend kann ich den Arm ca. 60° zur Seite hochheben
Sonntag
Ich fahre 40km auf dem Ergometer, den Lenker habe ich hochgestellt. Je angefangenen Kilometer hebe ich die linke Hand 10mal auf den Lenker, am Ende erreiche ich sogar die obere Hörnchenposition (ca. 60°). Am Nachmittag mach ich eine 2 Stunden Waldwanderung mit Sohnemann, der sich über den zunehmend beweglichen Papa freut. Das unebene Gelände verursacht nach wie vor Schmerzen, aber die Ablenkung ist gut und irgendwie wird’s immer besser. Am Abend kann ich den Arm 90° seitlich heben, nach vorn 60°.
Montag
Ich gehe wieder ins Bad und kann nach Erwärmung im warmen Sprudel mehrere kleine Runden im Außenbecken schwimmen, Stil und Geschwindigkeit ähneln dem der mich umgebenden älteren Damen, aber immerhin.
Dienstag
Ergotherapie bestätigt meine schon erfahrenen Fortschritte. Als positiv bewerte ich die schon erreichte Beweglichkeit durch die Wasseranwendung, das nimmt vor allem die Angst vor ev. Schmerz. Abends will ich walken, aber nach 10 m fall ich in leichten Trab und jogge 5 lockere Kilometer, eigentlich schon fast schmerzarm.
Mittwoch
Ich schieb Sohnemann aufm Fahrrad in den Kindergarten, auf dem Rückweg setzt ich mich aufs Fahrrad und fahre einfach mal so nach Hause. Ich telefoniere mit dem Chef und wir verabreden ab nächste Woche wieder arbeiten, erste Woche halbtags. Mittags wieder Ergotherapie, diesmal an den Geräten, ernüchternd bezüglich Kraft, aber die Beweglichkeit steigert sich. Vor allem schleichen sich die Schmerzen still davon.
Heute Nachmittag geh ich wieder ins Bad …
Update:
Datum: 29.02.2008 13:16
Von: "Holger ..."
An: Hannes Birnbacher
Hallo Hannes,
ach ja Schlüsselbeinbruch, da war doch was...
Also ums kurz zu machen, nach ca.2 Monaten habe ich wieder alle Sportarten völlig beschwerdefrei ausüben können, nach 3 Monaten war ich schon wieder Wettkampftauglich, wobei mir als Triathlet sicher vor allem das Schwimmen gut geholfen hat. Irgendwelche Nachwehen gab es zum Glück nicht und so kann ich allen Neu-Betroffenen nur Mut machen.